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Kinder als Waffe: Die Entmenschlichung der Palästinenser ist zum Mainstream geworden

Kinder als Waffe: Die Entmenschlichung der Palästinenser ist zum Mainstream geworden

Quelle: AFP © Mahmud HamsInnerhalb des Gazastreifens vertriebene palästinensische Kinder sitzen am 9. November 2023 auf dem Gelände des al-Nasser-Krankenhauses in Khan Yunis im südlichen Gazastreifen.

Von Tarik Cyril Amar

Die Wochenzeitung The Economist hat einen Artikel veröffentlicht, in dem vorgegeben wird, die Antwort darauf zu wissen, warum Israel so viele palästinensische Kinder tötet, oder, wie in der britischen Zeitschrift zu lesen, warum “Kinder einen sehr hohen Anteil der Opfer des Krieges im Gazastreifen ausmachen”. Die Autoren stellten fest, dass “in der Ukraine, einem Konflikt zwischen zwei viel größeren Mächten, über einen viel längeren Zeitraum hinweg, Kinder weniger als 550 der etwa 9.800 zivilen Todesopfern ausmachten.” Daher kamen sie zum Schluss: “Die enorme Zahl von Kindern unter den Todesopfern im Gazastreifen ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung dort besonders jung ist.”

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Dreist entfernten die Autoren die tatsächlichen Mörder aus dem Bild – die Kinder seien “dem Krieg” zum Opfer gefallen, nicht den Israelis. Es gab gerade genug Raum für die verlogenen Zweifel von US-Präsident Joe Biden an den von den Palästinensern gemeldeten Opferzahlen, die in Wirklichkeit mit Sicherheit höher liegen würden, um den Leser zum Staunen zu bringen. Er erwähnte aber nicht die wahre Antwort: “Es werden so viele Kinder getötet, weil Israel ein Kriegsverbrechen nach dem anderen gegen Zivilisten begeht, in der Verfolgung einer Strategie der kollektiven Bestrafung, die einem Völkermord und einer ethnischen Säuberung gleichkommt.” Allerdings wurden diese Definitionen, wie das oft bei den Aktionen Israels der Fall ist, auf verschiedenen offiziellen Ebenen relativiert. Und all dies geschieht auch, weil es aufgrund der Komplizenschaft des Westens mit Israel möglich ist. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich beim Artikel im The Economist um ein ordinäres Beispiel für die westliche Mainstream-Berichterstattung handelt.

Doch es steckt mehr hinter dieser als cool und besonnen präsentierten Analyse, die im vornehmen englischen Stil gehalten wurde, komplett mit Statistiken und einem Diagramm. Unbeabsichtigt öffnet der Artikel ein weites Fenster zu etwas Hässlichem, aber sehr essenziellem: Zu dem Punkt, an dem Abhandlungen darüber geschrieben werden, wer wie viele Babys vorzuweisen hat, oder kurz gesagt, die Demografie auf die Entmenschlichung trifft, die Gräueltaten gegen Mitmenschen erleichtert.

Wie Khaled Elgindy, der Direktor des Programms für Palästina und palästinensisch-israelische Angelegenheiten am Middle East Institute, in der Newsweek erklärte, vermittelt entmenschlichende Rhetorik die Idee, dass “das Leben, das Leiden und die Menschlichkeit der Palästinenser weniger wert sind, als das Leben, das Leiden und die Menschlichkeit der Israelis”. Und wie der Experte für Völkermord und Holocaust, Raz Segal, herausgefunden hat, ist der israelische Angriff auf den Gazastreifen nach den Kriterien der Völkermordkonvention der Vereinten Nationen von 1948 ein “Lehrbuchfall”. Es ist ein typisches Element des Völkermords, andere Volksgruppen als weniger menschlich darzustellen.

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Diese verheerende Waffe der massenhaften Falschdarstellung von Menschen und ganzen Volksgruppen gibt den Tätern das Gefühl, wie es bei vielen Israelis mittlerweile der Fall ist, zum Töten bereit und mit sich über das Ergebnis im Reinen zu sein. Es motiviert und schützt auch deren Komplizen, viele davon in der politischen, medialen und intellektuellen Elite des Westens. Für die Umstehenden gilt, für diejenigen, die angesichts des verzweifelten Schutzbedürfnisses der Palästinenser lediglich schweigen und passiv bleiben, inmitten eines entmenschlichenden Sprachgebrauchs, mit dem Palästinenser als “Tiere” und “Wilde” verhöhnt werden, und jene, die alle Aufrufe zum Protest dagegen ohne jede Nuance als Unterstützung für den “Terrorismus” bezeichnen: “Unterdrückt eure Empathie, betäubt alles, was noch von eurem Gewissen übrig ist und rationalisiert euer eklatantes moralisches Versagen.”

Die The Economist-Autoren achten natürlich penibel darauf, den Schein zu wahren, indem sie ihre ekelhaften Argumente in reichlich Soziologie verpacken und über Durchschnittseinkommen, Geburtenraten und Sekundarschulbildung informieren. Aber ihre Botschaft kommt immer noch klar und deutlich zum Ausdruck: “Die Kinder im Gazastreifen sterben in Scharen, nicht, weil Israelis sie ermorden, sondern weil es so viele von ihnen gibt.” Schritt eins der Entmenschlichung: Man höre auf, Kinder als Kinder mit Namen und Gesichtern zu betrachten. Man betrachte sie stattdessen als Zahlen und Statistiken. Und obendrein als übertriebe Zahlen.

Schritt zwei der Entmenschlichung: Die Tatsache, warum es so viele junge Palästinenser gibt, ist, wie wir aus dem Magazinbeitrag erfahren, keine normale Entwicklung einer menschlichen Gesellschaft. Durch den Vergleich der Palästinenser mit noch ärmeren Bevölkerungsgruppen auf dieser Welt, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die hohen Geburtenraten bei den Palästinensern eine Anomalie darstellen. Diese Anomalie kann nach Meinung der Autoren durch eine militante Politik erklärt werden, nämlich durch die Politik des Pronatalismus der palästinensischen Führer, begonnen vom verstorbenen Führer der PLO, Jassir Arafat, weitergeführt bis heute durch die Hamas. Kurz gesagt, Palästinenser werden als Menschen dargestellt, die, wie wir bereitwillig sagen, ihre eigene Fortpflanzung und damit ihre Kinder zur Waffe machen.

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Die Logik dahinter ist klar, wenn auch bösartig. Man erinnere sich daran, dass der Angriff auf den Gazastreifen, einschließlich des Aushungerns und Tötens von Zivilisten, in den Augen der USA – Israels wichtigstem westlichen Verbündeten – einen Kollateralschaden in Bezug auf das Recht Israels darstellt, Selbstverteidigung auszuüben. Lassen wir dabei einfach mal außer Acht, dass Israel nach internationalem Recht eine militärische Besatzungsmacht ist und daher “Selbstverteidigung” keine anwendbare Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt gegen die besetzten Gebiete ist. Jetzt kombiniere man das mit dem, was die Journalisten von The Economist über palästinensische Kinder schreiben, die “von der Wiege an” Teil einer Strategie der langfristigen Kriegsführung mittels Bevölkerungswachstum sein sollen. Von hier aus muss man nur noch zwei Punkte miteinander verbinden, um zu dem Schluss zu gelangen, dass es völlig akzeptabel wäre, “Selbstverteidigung” gegen Kinder auszuüben, weil sie schließlich eine “Waffe” darstellten. Auch wenn es niemandem bei The Economist gibt, von den Autoren bis zu den Redakteuren, dem es gelungen ist, den moralischen Abgrund zu durchdenken, den ihre Argumentation aufreißt, ist dieses Scheitern allein schon beschämend aufschlussreich.

In Wirklichkeit mussten die Palästinenser lernen, ihre Kinder als ihre Zukunft zu verstehen, mit einer Vordringlichkeit, die Menschen, die in der Vergangenheit nicht systematischen ethnischen Säuberungen, Apartheid und Völkermord ausgesetzt waren, möglicherweise nicht verstehen werden. Das Massaker an diesen palästinensischen Kindern durch israelische Täter dann tatsächlich den palästinensischen Opfern in die Schuhe zu schieben, weil sie es angesichts der unerbittlichen Unterdrückung gewagt haben, sich zu vermehren, ist erbärmlich zynisch.

Natürlich kennen auch Juden diese Vordringlichkeit, insbesondere aufgrund des historisch Versuchs Nazi-Deutschlands, sie auszurotten. Aber der Völkermord an ihrem eigenen Volk hat sich bei den modernen zionistischen Führern nicht in Empathie niedergeschlagen. Der Slogan “Nie wieder” bedeutet für sie “Nie wieder für uns”.

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Darüber hinaus sind die palästinensischen Führer nicht die Einzigen, die sich Gedanken über die Bevölkerungsentwicklung machen. Tatsächlich stand seit dem späten 19. Jahrhundert die Bevölkerungspolitik von Anfang an im Mittelpunkt des zionistischen Projekts, und zwar in zwei Formen: als ständige proaktive Sorge um die Erhöhung der Zahl jüdischer Siedler und späterer jüdischer, israelischer Bürger und als anhaltende Angst vor dem Wachstum der palästinensischen Bevölkerung. Seit der ersten ethnischen Säuberung der überwiegenden Mehrheit der Palästinenser – mindestens 700.000 Menschen – die noch vor dem arabisch-israelischen Krieg von 1948 begann und während dieses Krieges fortgeführt wurde, war die Reduzierung und das Kleinhalten der palästinensischen Bevölkerungszahl einer der Hauptgründe, warum Israel das palästinensische Recht auf Rückkehr, bekräftigt in der Resolution 194 der UN-Generalversammlung, stets verweigert hat.

Dies wiederum war einer der Hauptfaktoren, die eine dauerhafte Friedenslösung unmöglich gemacht haben. Mit anderen Worten: “Israel betrachtet die Palästinenser und ihre Kinder als eine grundlegende Bedrohung für seine nationale Sicherheit, und das ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer Lösung, die den Palästinensern Gerechtigkeit bringen und die Welt von einer nie endenden, extrem gefährlichen Krise befreien würde, die längst hätte beigelegt werden sollen.”

Wie kann es sein, dass eine renommierte, meinungsbildende Publikation wie der The Economist mit einem solchen Artikel davonkommt – und das nicht zu irgendeinem Zeitpunkt, sondern während eines andauernden Angriffs auf den Gazastreifen, bei dem bereits mehr als 10.000 Menschen getötet wurden, fast die Hälfte davon Kinder? Die Antwort ist: “Die systematische Entmenschlichung der Palästinenser, ihre rhetorische Reduzierung auf ‘bloßes biologisches Leben, das ohne moralischen Zweifel ausgelöscht werden kann’ hat eine lange Geschichte”, wie der amerikanische Journalist und Autor Ali Abunimah erklärte.

Scharfsinnige Beobachter weisen darauf hin, dass die Unterstützung des Westens für Israels Vorgehen das Land jedes Ansehen kostet, das es im Rest – also im größten Teil – der Welt noch hat. Das ist wahr und es ist hochverdient. Denn noch schlimmer als die Sprache der Entmenschlichung ist, dass es sich überhaupt nicht um ein Randphänomen handelt: Im Westen kann man an dieser den Völkermord fördernden Praxis teilnehmen und Resonanz und Anerkennung finden, statt Schmach und Tadel, solange die Opfer die Palästinenser sind. Der Westen, der sich selbst als “Garten” der “Werte” halluziniert, blickt auf eine lange Geschichte erschütternder Gewalt gepaart mit atemberaubender Heuchelei zurück. Aber zum jetzigen Zeitpunkt dieser sich fortsetzenden Geschichte, ist der schreckliche Missbrauch der Palästinenser – in Worten und Taten – die ungeheuerlichste Verderbtheit überhaupt. Aber der Rest der Menschheit wird dies weder vergessen noch vergeben.

Aus dem Englischen.

Tarik Cyril Amar ist Historiker an der Koç-Universität in Istanbul, befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der Erinnerungspolitik. Er findet ihn auf X unter @tarikcyrilamar.

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