Meinung Davos ist nicht wie früher: Die geopolitischen Pfaue haben den Kampf verloren
Heutzutage hört man aus Davos allerdings kaum noch von nuancierten oder kreativen Lösungen. Seriöse Diplomatie trifft sich dort auch nicht mehr. Vielmehr entsteht ein vorhersehbarer Trommelwirbel klischeehafter Gesprächsthemen, die jedes Jahr ungefähr dasselbe Gebiet abdecken: stets eine Kombination aus wirtschaftlicher Integration, Dekarbonisierung, Gleichheit der Geschlechter, Armutsbekämpfung und technologischer Entwicklung. Wenn es in den vergangenen Jahren so etwas wie ein Gegengewicht in Form der Betonung des “Wiederaufbaus von Vertrauen” gab, dann nur deshalb, weil die Unzufriedenheit der Massen, wenn auch nur zögerlich, bis in die glitzernden Cocktailbars von Davos vorgedrungen ist.
Wie das Magazin Vanity Fair im vergangenen Jahr mit einem scharfsinnigen Artikel betonte, hat Schwab mittlerweile “das Forum von einem ernsthaften Treffen politischer Experten zu einer glitzernden Versammlung der reichsten Menschen der Welt entwickelt” .
Im Artikel heißt es weiter: “Die Kernaktivitäten des Forums – die nüchternen Reden und Podiumsdiskussionen – wurden lange Zeit von außerplanmäßigen Veranstaltungen in den Schatten gestellt, die Davos am Rande seiner offiziellen Schirmherrschaft dominieren: Von den Cocktailpartys und Banketten, die von globalen Banken und Technologieunternehmen veranstaltet werden.” Die Teilnehmer solcher alternativen Veranstaltungen “rühmen sich, an null Podiumsdiskussionen teilgenommen zu haben und nie einen Fuß in die Haupthalle gesetzt zu haben – ein zynisches Zeichen von Raffinesse –, während sie gleichzeitig Einladungen zu berüchtigten Abendgesellschaften voller privilegierter Ausschweifungen wahrnehmen” .
Die allmähliche Verwandlung des Forums in eine Veranstaltung, nur um zu sehen und gesehen zu werden, fiel eng mit einem wachsenden Mangel an Vertrauen in die globale Elite zusammen sowie mit der wachsenden Einsicht, dass genau diese (dort versammelten) Eliten die Angelegenheiten der Welt steuern.
Der Roman “Der Zauberberg” endet mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Als der Protagonist des Romans nach sieben Jahren auf dem Berghof endlich in die Welt unterhalb seines Zauberbergs zurückkehrt, landet er mitten im Krieg – und damit in einer Welt, die er während seines langen Aufenthalts sorgsam gemieden hatte. Das ist ein eindringliches Bild.
Wenn es in unserer Mitte einen neuen Thomas Mann gäbe, könnten zukünftige Generationen eine gewisse Unterhaltung finden in dem bissigen Porträt dieser sklerotischen und abgehobenen herrschenden Elite, welche die dieselbe herrliche Luft atmet und auf dieselben imposanten Alpen blickt, wie sie der deutsche Romancier einhundert Jahre zuvor beschrieben hat, bevor sie dann in das Chaos hinabsteigt, an dessen Entstehung sie selbst so großen Anteil hatte.
Übersetzt aus dem Englischen
Henry Johnston ist Redakteur bei RT. Er war überdies ein Jahrzehnt im Finanzwesen tätig.
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