Bloomberg: Macrons Umgang mit Russland bereitet Regierungsmitarbeitern “Unbehagen”
Der Redner fordert auch die Finanzierung der europäischen Verteidigungsindustrie durch die Europäische Investitionsbank oder sogar durch eine neue große Gemeinschaftsanleihe. Bei diesem letzten Punkt stößt er frontal auf den Widerstand der Mitgliedsstaaten, die an der Haushaltsorthodoxie festhalten, darunter Deutschland und die nordischen Länder.
In Wirklichkeit gehen die Widersprüche über diese haushaltspolitische Dimension hinaus. Paris hat sich immer für eine gewisse “strategische europäische Autonomie” – wie auch immer sie heißen mag – eingesetzt, wo eine große Anzahl von Ländern (unter anderem Polen, Rumänien, die baltischen Staaten und sogar Deutschland) vorrangig einer direkten Vasallenschaft treu bleiben, die Washington den Großteil ihres Schutzes anvertraut. Diese Opposition ist nicht neu, stellt aber ein unüberwindbares Hindernis für die Hoffnungen des Élysée-Palastes dar.
Die zweite von Emmanuel Macron geförderte Achse, der “Wohlstand”, beinhaltet insbesondere die Einführung eines europäischen Protektionismus – auch wenn dieses Wort nie verwendet wird. Für ihn war früher “der Handel frei und jeder hielt sich an die Regeln. Das war die Welt, in der wir bis vor kurzem lebten; in wenigen Jahren hat sich alles verändert” , angefangen bei Washington und Peking, die ihre Produkte “übersubventionieren” und sich nicht mehr an die Regeln halten.
Angesichts dessen sollte man aufhören, “zu offen” zu sein, die Regeln des Binnenmarktes vereinfachen und “europäische Spitzenunternehmen hervorbringen und sich dazu bekennen, die Unternehmen in unseren strategischen Sektoren massiv mit neuen Investitionen zu unterstützen” . Kurz gesagt, eine echte Industriepolitik übernehmen. Darüber hinaus wäre es notwendig, ein Wachstumsziel in die Aufgaben der EZB aufzunehmen, und nicht nur die Bekämpfung der Inflation. Schließlich könnte ein “Investitionsschock” durch eine neue große gemeinsame Anleihe oder andere gleichwertige Mechanismen mit dem Ziel der Verdoppelung der Haushaltskapazität der EU erreicht werden.
Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass nicht alle diese Vorschläge unter den 27 Mitgliedsstaaten einstimmig angenommen werden. Einige stellen sogar einen Casus Belli mit den Ländern dar, die am stärksten an liberalen Dogmen festhalten. Der Präsident ist sich dieser Widersprüche bewusst und versucht daher, seine Ansichten durchzusetzen, indem er die Alarmglocken läuten lässt und vor der “Gefahr” warnt, dass die EU verschwinden könnte.
Die Widersprüche sind aber so zahlreich, dass sie keine Chance haben, dauerhaft gelöst zu werden. Darüber hinaus existieren sie auch unterschwellig in anderen Bereichen, in denen kürzlich Kompromisse gefunden wurden. Dies gilt für den “Pakt zu Migration und Asyl”, wo die Gegensätze zwischen den Mittelmeerländern und den osteuropäischen Ländern noch immer schwelen.
Und selbst bei der Erweiterung um die Balkanländer, die Ukraine und Moldawien verbergen sich hinter den einstimmigen offiziellen Erklärungen nicht eingestandene Vorbehalte, die sich aber zweifellos noch verschärfen werden.
Macron warnt vor Untergang Europas
Was die dritte Achse betrifft, den vom Staatschef geförderten europäischen “Humanismus”, so dürfte er seinen Kollegen weniger Probleme bereiten. Das Image der EU im “Globalen Süden” dürfte dadurch hingegen nicht gerade verbessert werden… Für ihn bedeutet, Europäer zu sein, “ein bestimmtes Menschenbild zu verteidigen, das das freie, rationale und aufgeklärte Individuum über alles stellt. Und es bedeutet, sich zu sagen, dass wir von Paris bis Warschau und von Lissabon bis Odessa ein einzigartiges Verhältnis zu Freiheit und Gerechtigkeit haben […] Es ist die ständig wiederholte Wahl, die uns von anderen unterscheidet.” Ein wahres Meisterwerk distinguierter Arroganz…
Am Ende seiner langen Rede ließ sich der Gast der Sorbonne zu einem Anflug von Bitterkeit hinreißen, da er vielleicht spürte, dass seine Hoffnungen niemals in Erfüllung gehen würden: “Wieder einmal liebt sich unser Europa nicht selbst. Wenn man sieht, was es alles getan hat und was wir ihm verdanken, so ist dies merkwürdig, aber so ist es nun einmal.”
In direktere Worte übersetzt bedeutet das: Die Völker, die sich weniger denn je für die europäische Integration begeistern, sind verdammt undankbar. Das zeigte sich bei der Gelbwestenbewegung in Frankreich und zuletzt bei den Bauernrevolten in einem Dutzend Mitgliedsstaaten.
Und das ist ein Hindernis für Macrons Ambitionen, das mindestens genauso wirksam ist wie die Widersprüche zwischen den Führern der 27 EU-Staaten.
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