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Multipolarität bedeutet eine gerechtere Machtverteilung – was der Westen aber nicht akzeptieren will

Multipolarität bedeutet eine gerechtere Machtverteilung – was der Westen aber nicht akzeptieren will

© Mast Irham / Pool Photo via APVon links: US-Präsident Joe Biden, der indische Premierminister Narendra Modi, der Präsident von Indonesien Joko Widodo und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen am 16. November 2022 in Bali, Indonesien.

Von Kanwal Sibal

Multipolarität ist das Schlüsselwort für eine gerechtere Machtverteilung in der Welt. Obwohl sich die globale Macht, insbesondere die wirtschaftliche, in den vergangenen Jahren hauptsächlich nach Osten verschoben hat, spiegelt sie sich immer noch nicht angemessen in den Entscheidungsfindungen in globalen Fragen wider.

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Der Westen, angeführt von den USA, dominiert immer noch die internationalen politischen und finanziellen Institutionen. Er versucht, anderen die eigenen Werte und Normen aufzuzwingen, und nutzt das Thema Menschenrechte und Demokratie als Mittel, um sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Der Westen hat seine Absicht nicht aufgegeben, in anderen Ländern Regimewechsel herbeizuführen, um die eigene geopolitische Agenda voranzutreiben. Er stärkt oder baut derzeit militärische Allianzen und Partnerschaften, um seine globale Führungsrolle zu behaupten. Er versucht, durch die von ihm kontrollierten globalen Informationsnetzwerke Narrative auf internationaler Ebene zu seinen Gunsten zu gestalten. Die Macht, die von den USA über alle Transaktionen in US-Dollar ausgeübt wird, zusammen mit dem Status des US-Dollars als Reservewährung der Welt, rüstet Washington mit einer einzigartigen Waffe zur finanziellen Vorherrschaft aus, einschließlich des Einsatzes von Sanktionen als Instrument, um Länder in Richtung seiner strategischen Ziele zu zwingen.

All diese Mängel in der globalen Führung werden durch die Entfaltung des Konflikts in der Ukraine verkörpert. Russland wurde ohne die Zustimmung der UN einer Reihe von Sanktionen aus dem Westen ausgesetzt. Drittländer werden unter Androhung sekundärer Sanktionen der USA unter Druck gesetzt, sich ebenfalls daran zu halten. Der Verlust des Zugangs zu den US-Finanzmärkten ist ein Risiko, das die meisten Länder vermeiden wollen. Da mehrere russische Banken willkürlich vom Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen wurden, kam es zum Unterbruch von Banktransaktionen mit Russland, was sich auf den Handelsaustausch auswirkte. Russische Devisenreserven im Ausland wurden rechtswidrig beschlagnahmt. Der Westen hat nicht nur die Öl- und Gasbeziehungen zu Russland abgebrochen, auch andere Länder wurden dazu gedrängt. Eine Preisobergrenze für russisches Öl wurde eingeführt, um die russischen Einnahmen aus den Ölverkäufen zu begrenzen. Erklärtes Ziel dieser Maßnahmen ist es, den wirtschaftlichen Zusammenbruch Russlands herbeizuführen. Die Gaspipeline Nord Stream 2 wurde gesprengt, um Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas ein für alle Mal zu beenden. Das Eigentum russischer Privatpersonen wurde ohne ordentliches Gerichtsverfahren beschlagnahmt, was Zweifel an der Heiligkeit des Privateigentums in westlichen Ländern aufkommen lässt. Russische Medien wurden unter Verletzung der europäischen Verpflichtung zur Meinungsfreiheit verboten, und westliche Medien verbreiten seit Langem schon Narrative, mit denen Russland und sein Präsident dämonisiert werden.

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Das Wesen der Multipolarität ist der Multilateralismus. Die Strukturen des Multilateralismus haben jedoch insbesondere im Bereich der internationalen Sicherheit bisher nicht gut funktioniert und wurden durch das Ausbleiben von Reformen in den internationalen politischen und wirtschaftlichen Institutionen zusehends geschwächt. Der UN-Sicherheitsrat, die Weltbank und der IWF spiegeln in vielerlei Hinsicht noch die Welt von 1945 wider und bedürfen einer gründlichen Überarbeitung und zeitgemäßen Umstrukturierung. Der UN-Sicherheitsrat muss erweitert werden, um den aufstrebenden Entwicklungsländern in Lateinamerika, Afrika und Asien mehr Repräsentation zu geben. Es ist unwahrscheinlich, dass dies in absehbarer Zeit geschehen wird, da die sich vertiefende Spaltung zwischen dem Westen auf der einen Seite und Russland und China auf der anderen Seite einen ohnehin schon schwierigen Konsens noch weiter verhindert. Die Erweiterung des Sicherheitsrates stellt faktisch eine Machtverschiebung auf internationaler Ebene dar, und die bisherigen Mächte wehren sich aus verschiedenen Gründen dagegen.

Multilateralismus bedeutet die Bereitschaft, die bereits stattfindende Verschiebung der globalen Macht zu akzeptieren, anstatt nach Wegen zu suchen, sie zu begrenzen, indem bestehende Allianzen gestärkt und neue geschmiedet werden, wie dies derzeit zu beobachten ist. Das transatlantische Bündnis wurde gefestigt, die NATO-Erweiterung findet statt; Deutschland und Japan rüsten auf, US-Allianzen in Asien werden gestärkt, mit AUKUS ein neues Bündnis geschaffen und der QUAD als Plattform vertieft. Im Mittelpunkt stehen die wahrgenommenen Bedrohungen durch Russland im Gefolge des Ukraine-Konflikts und durch China, das wirtschaftlich, politisch und auch militärisch als rivalisierende Macht aufsteigt. Im Wesentlichen soll die Wiederbelebung von Allianzen das Entstehen von Multipolarität einschränken, indem man die Etablierung unabhängiger Machtpole und deren Einfluss hemmt. Der Versuch besteht darin, die Machtverschiebungen auf globaler Ebene zu erkennen, diese Verschiebungen jedoch so weit wie möglich unter dem Dach der USA zu konsolidieren. Der einst von Frankreich vorangetriebene Ehrgeiz Europas, eine unabhängige Rolle zu spielen, ist vorerst praktisch zunichtegemacht worden.

Russland, das seinen Machtverlust nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erleben musste und versuchte, eine nichtwestliche Front gegen den Unilateralismus der USA aufzubauen, begann mit dem Vorstoß zu einer multipolaren Welt. Dies wurde ausgelöst durch die Förderung von Farbrevolutionen, Regimewechseln und sogar der Auflösung von ganzen Ländern durch die USA, um geopolitischen Zwecken zu dienen, angeblich im Namen der Demokratie und der Menschenrechte. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Dialogplattform Russland-Indien-China (RIC), ein Konzept, das der frühere russische Außenminister Jewgeni Primakow bereits 1998 initiiert hatte. Die RIC entwickelten sich mit dem Beitritt Brasiliens zu den BRIC und mit dem Beitritt Südafrikas zu den BRICS. Dies gab dem Konzept der Multipolarität eine multikontinentale Basis. Die BRICS wurden inzwischen auf das Niveau von regelmäßigen Gipfeltreffen gehoben. Deren Agenda für institutionelle Kontakte und die Förderung der wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenarbeit hat zu greifbaren Ergebnissen geführt. Heute streben viele Länder eine Mitgliedschaft bei den BRICS an, darunter Algerien, Argentinien und Iran, die sich beworben haben, während Ägypten, Indonesien, Saudi-Arabien und die Türkei sich als potenzielle Mitglieder in der Warteschlaufe befinden. Mehr Konnektivität beim Verkehr, der Energieversorgung, im Handel, bei den alternativen Lieferketten und eine De-Dollarisierung könnten alle konkret unter der Ägide der BRICS gefördert werden.

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Die von Russland und China geführte Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) ist ein weiteres Forum zur Förderung der Multipolarität. Indien ist Mitglied und wird dieses Jahr Gastgeber des SOZ-Gipfels sein. Iran wurde als neues Mitglied aufgenommen, und nach Angaben des russischen Außenministers Lawrow wollen insgesamt etwa 20 Länder den BRICS und der SOZ beitreten. Westliche Mächte fehlen sowohl bei den BRICS als auch in der SOZ, was es beiden Organisationen ermöglicht, Bereiche der Zusammenarbeit zu identifizieren und gemeinsam Strukturen zu schaffen, die mehr Autonomie gegenüber dem westlich dominierten System bei der Verfolgung gemeinsamer Interessen bieten.

Das Scheitern des Westens, Russland zu isolieren, ist ein Beweis für die wachsende Multipolarität. Russland übersteht die Zwangssanktionen. Sein Öl fließt trotz westlicher Embargos weiterhin international. Weitere Beispiele sind die Stärkung der strategischen Beziehungen zwischen Russland und China, die Bereitschaft Indiens, seine Beziehungen zu Russland trotz des Drucks aus dem Westen auszubauen, und die Weigerung Neu-Delhis, Russland in der Ukraine-Frage zu verurteilen. Afrikanische Länder, die sich Russland zuwenden, China, das Frieden zwischen Iran und Saudi-Arabien vermittelt, die Türkei – obwohl NATO-Mitglied –, die sich weigert, Russland zu sanktionieren und tatsächlich die Beziehungen zu Russland ausbaut. Dies ergibt sich ebenfalls aus der Entstehung einer Multipolarität im internationalen System. Die zunehmende Verwendung nationaler Währungen anstelle des US-Dollars beim Handel verspricht ebenfalls einen großen Schritt in diese Richtung.

Es besteht kein Zweifel, dass das aktuelle Spannungsspiel zwischen dem Westen und Russland über die Ukraine, insbesondere seine Auswirkungen auf die Interessen des globalen Südens, einer Multipolarität Auftrieb verleihen wird. Es ist jedoch wichtig, dass Multipolarität in einem multilateral kooperativen, gerechten und friedlichen Rahmen funktioniert und nicht in einem konkurrierenden Geschacher um Macht, das auf Bündnissystemen und militärischen Spannungen basiert.

Aus dem Englischen.

Kanwal Sibal ist ein indischer Außenminister im Ruhestand und war zwischen 2004 und 2007 Botschafter in Russland. Er bekleidete auch Botschafterposten in der Türkei, Ägypten und Frankreich und war stellvertretender Missionschef in Washington, D.C.

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