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Politikwissenschaftler Varwick: Kriegsgeschrei ist wieder salonfähig in Deutschland

Politikwissenschaftler Varwick: Kriegsgeschrei ist wieder salonfähig in Deutschland

Quelle: www.globallookpress.com © Michael Kappeler / dpaScharfmacher von FDP und Grünen: Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter (Archivbild)

Johannes Varwick ist Politikwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für internationale Beziehungen an der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale). Varwick ist auch ein bekennender Transatlantiker. Unter anderem arbeitete er auch für den steuerfinanzierten, transatlantischen Thinktank “Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik” (DGAP). 

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Ein unkritisches Verhältnis oder gar übergroßes Maß der Nähe zu Russland kann man Varwick also wahrlich nicht vorwerfen. Dennoch passiert ihm jetzt genau das, denn Varwick macht die “falschen” Vorschläge: er plädiert nicht für Waffenlieferungen, sondern für einen realistischen, analytischen Blick auf die Situation der Ukraine. Damit hat sich Varwick ins mediale Abseits befördert. Varwick beklagt die öffentliche Einseitigkeit in einem Interview mit der Berliner Zeitung

“Krieg und Kriegsgeschrei sind im wahrsten Wortsinne wieder salonfähig, das Maß an Solidarität mit der Ukraine wird vornehmlich in Waffenlieferungen gemessen, politische Lösungen oder Warnungen von unkalkulierbarer Eskalation stehen nicht hoch im Kurs, werden gar als wahlweise naiv oder gar putinesk diffamiert.”

Seine abwägende Haltung hat ihm aber nicht nur Kritik eingebracht. Varwick wurde nun auch als “Feind der Ukraine” auf dem ukrainischen Internetpranger Mirotworez gelistet. Er befindet sich dort zwar mittlerweile in guter Gesellschaft, denn es finden sich dort auch die Namen des ehemaligen US-amerikanischen Außenministers Henry Kissinger und der EMMA-Herausgeberin und Publizistin Alice Schwarzer ebenso wie der des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Auch die Führung der Ukraine hält von Analyse und Abwägen in diesen Tagen nichts, ist zum bedingungslosen Kampf bereit und fordert den Tod jener, die für ein Mindestmaß an Vernunft plädieren.

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Bei seiner Analyse allerdings geht Varwick nicht ganz so unvoreingenommen vor, wie er sich selbst beschreibt, denn er bedient sich eines westlichen Vokabulars zur Beschreibung des Konflikts. So spricht auch er beispielsweise von einem angeblichen Zivilisationsbruch angesichts des Einmarschs russischer Truppen in die Ukraine. Varwick plädierte schon lange vor dem Konflikt für eine Stärkung der Bundeswehr und für “mehr sicherheitspolitische” Verantwortung der Bundesrepublik. Eigentlich ist er damit auf Linie der aktuellen deutschen Außenpolitik. 

Dennoch hat sich Varwick mit seinen Äußerungen zum Ukraine-Konflikt ins Abseits manövriert, denn gegenüber Waffenlieferungen vertritt er eine kritische Position. Das sagt sicherlich viel über den Zustand der Diskussionskultur in der Republik. 

“Wenn etwa jenen, die sich erlauben, zu fragen, ob Waffenlieferungen an die Ukraine nicht eher Konfliktbeschleuniger sind, reflexhaft unterstellt wird, damit werde dem russischen Narrativ gefolgt, oder diese gar als ‘Putinfreunde’ diffamiert werden, dann wird eine rationale strategische Diskussion verunmöglicht. Denn natürlich kann es auch sein, dass mit Waffenlieferungen ein womöglich aussichtsloser Kampf der Ukraine nur verlängert oder blutiger wird. Und es ist ebenso denkbar, dass Russland aufgrund immer mehr westlicher Waffenlieferungen die Staaten, die dies tun, als Kriegspartei betrachtet und wir, ob gewollt oder nicht, am Ende doch in einem Krieg mit Russland landen.”

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Varwick versucht einen realistischen Blick. Seine These lautet, dass die Ukraine sehr wahrscheinlich territoriale Abstriche machen muss. Die Unterstützung der Ukraine bis zu deren Sieg über Russland berge die Gefahr einer Eskalation zum Atomkrieg.  

Und er beklagt die Enge der deutschen Diskussion. Dass die These, Waffenlieferungen könnten einen womöglich aussichtslosen Kampf der Ukraine lediglich verlängern und die Zahl der Opfer sinnlos erhöhen, in Deutschland medial nicht mehr zugelassen ist, hält Varwick für eine Fehlentwicklung, für einen Mangel an Demokratieverständnis. 

“Man mag mit jeweils guten Argumenten zu dem einen oder dem anderen Ergebnis kommen. Es gibt aber nicht nur ein Richtig oder ein Falsch. Und vor allem betreibt man nicht zwingend das Geschäft Russlands oder verrät die Ukraine, wenn man hier eine Minderheitenposition vertritt. Im Rückblick hat sich meine Erwartung bestätigt, dass die russische Regierung am längeren Hebel sitzt, d.h. über die Eskalationsdominanz verfügt und auch die politische Entschlossenheit (und Ruchlosigkeit) aufbringt, diese auszureizen. Zudem ist die Durchhaltefähigkeit der Russen hoch, vermutlich höher als die der Ukraine.”

Auch der Hinweis auf die reale Gefahr einer Eskalation des Konflikts durch Waffenlieferungen würde in Deutschland sorglos weggewischt. 

“Aber ist es vorstellbar, dass eine Nuklearmacht einen Krieg, den es aus seiner (irrigen) Sicht für seine vitalen Interessen führt und dafür einen hohen Preis zahlt, am Ende verliert? Von der Antwort auf diese Frage hängt die weitere Strategie maßgeblich ab. Mit einem gesinnungsethischen Kompass ist eine vorbehaltlose Unterstützung der Ukraine mehr als berechtigt. Ob dies allerdings einer Verhandlungslösung dient, ist fraglich. Was wir vielmehr brauchen, ist ein verantwortungsethischer Ansatz, der weiter den Versuch eines Interessenausgleichs mit Russland wagt und nicht auf einen Sieg gegen Russland setzt. Wer zudem eine komplette Niederlage Russlands zum Ziel bzw. als Voraussetzung für eine Friedenslösung erklärt, der landet letztlich doch im Krieg mit Russland. Ich weigere mich, dies als Option zu durchdenken.”

Dass aber selbst bekennende Transatlantiker in Deutschland diffamiert und ausgegrenzt werden, wenn sie nicht vorbehaltlos ins Credo der Waffenlieferungen einstimmen, ist das, was hierbei besonders bedenklich stimmt. Die Politiker in Deutschland haben sich in einem irrationalen, rein ideologisch geführten Diskurs verloren, durch den letztlich auch Demokratie und Freiheit auf der Strecke bleiben.

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