Polnischer Regierungschef Tusk installiert neue Nachrichtensendung – Duda spricht von “Anarchie”
Hier entschleiert sich ein Modus Operandi, der, wenn einmal verinnerlicht, den ganzen politischen Diskurs in Polen wuchtig als zynische Methodik bloßstellt – nicht lediglich vorsichtig entkleidet. Im vorher genannten Kommuniqué der AP heißt es weiter: “Die Regierung Tusk hat es sich zur Priorität gemacht, die Objektivität und Meinungsfreiheit in den staatlichen Medien wiederherzustellen, die unter der vorherigen PiS-geführten Regierung aggressive Propagandamittel eingesetzt haben, um Tusk und die Opposition anzugreifen und euroskeptische Ansichten zu verbreiten.”
Bei aller Skepsis gegenüber der Unvoreingenommenheit der empörten PiS-Akteure, nimmt sich die AP heraus, zu behaupten, dass eine ideologisch konkret definierte und eingefärbte Tusk-Regierung die Instanz sein müsse, die unilateral für “Objektivität” sorgen könne. Selbst die polnische Gesellschaft der Journalisten sprach von “neuen Machthabern”, die man zu akzeptieren habe. Manch einer könnte meinen, dass so viel Großzügigkeit seitens der AP gegenüber Tusk einen eigenen Mangel an Objektivität entblößt.
Es gab aber am 19. Dezember eine parlamentarische Abstimmung zu der Tusker “Resolution zur Wiederherstellung der Rechtsordnung sowie der Unparteilichkeit und Integrität der öffentlichen Medien und der Polnischen Presseagentur” – 244 stimmten dafür, 84 dagegen, während sich 16 enthielten. Während der PiS-nahe Staatspräsident Andrzej Duda das Gesetzespapier kritisierte.
Das konservativ-libertäre US-Blatt The American Spectator ging in seiner Kritik an der neuen polnischen Regierung sogar noch weiter und verglich die heutigen Resort-Säuberungen von oben nach unten mit dem Kriegsrecht in der Volksrepublik Polen ab 1981. So hieß es im Artikel wortwörtlich:
“Die Polizei stürmte das Gebäude, in dem Journalisten und Politiker der Partei Recht und Gerechtigkeit [PiS] gegen die am Vortag erfolgten Massenentlassungen bei TVP, Polskie Radio und der Polnischen Presseagentur protestierten.” Dieser Protest läuft sogar noch.
Das Fazit des US-Mediums war wenig optimistisch:
“Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis wir genau wissen, was sich in der chaotischen TVP-Zentrale abgespielt hat, aber mit dem, was man als ‘Rechtsstaatlichkeit’ bezeichnen könnte, hatte es sicher nichts zu tun. Es ist das jüngste Signal dafür, dass die liberalen Akteure, die die neue Regierung leiten – obwohl sie weit davon entfernt sind, ein Wahlmandat zu haben – bei der Umgestaltung des Landes keine Geduld aufbringen werden.”
Berlin und Warschau im Vergleich
Die halbwegs gute Nachricht ist, dass die polnische Politik-Landschaft noch nicht auf einem so flachen Level gleichgeschaltet ist wie in der Bundesrepublik Deutschland. Ja, die Ampelregierung unterscheidet sich kosmetisch von den Großen Koalitionen unter Angela Merkel, aber letztendlich ist es immer noch derselbe “politische Pfeil”, der einst im Jahr 2005 (manche würden sagen, im Jahr 1998, oder sogar 1990) abgeschossen wurde – und heute sogar rascher flitzt als einst. Es bedarf aber heutzutage nicht viel, “weniger gleichgeschaltet zu sein” als die BRD. Zu Ende gedacht ist es dann doch nur ein schwacher Trost. Um in Deutschland einen Aufsehen erregenden Elitenkampf polnischer Größenordnung zu erleben, müsste die AfD zu einer voll operativen Volkspartei heranwachsen. Das dauert aber noch ein paar Jahre.
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Und selbst wenn — dringt man nämlich in die politische Realität Polens tief genug ein, stößt man unter dem harten “Erz der Spaltung” auch dort auf eine fluide Schicht der Gleichschaltung – nämlich in Sachen NATO und EU. Darauf ist nach wie vor Verlass. Und die sogenannte “Euroskepsis” der PiS, unter der Brüssel und Berlin in den letzten Jahren so gelitten haben, stellte ein eigenes kleines Theater dar.
Außerdem geht es der Tusk-Regierung nicht darum, die Staatsmedien, welche PiS im Jahr 2016 noch verbindlicher an den Staat koppelte, wieder “freier” und “objektiver” zu machen, erneut vom Staat zu “entbinden” und auf dem immergrünen “Markt der Ideen” freizügig schlendern zu lassen. Es geht vielmehr darum, auf der fleißigen Arbeit der PiS weiter aufzubauen und auf deren autoritären Mühen zur institutionellen Konsolidierung neue, eigene diskursive Erfolge zu feiern. Indem man nämlich – wie aus der derzeitigen Gehässigkeit ersichtlich – die in den letzten acht PiS-Jahren enger geschnürten und ausgeweiteten Systemstrukturen etwas zu eilig unter die eigene ideologische Kontrolle zu bringen versucht. Dieses Tandem ist entscheidend – wie beim vorher erwähnten BIP generell, so auch konkret bei den Staatsmedien.
Deshalb sollten sich die jetzige PiS-Opposition von Kaczyński und die neue Tusker Regierungskoalition auch zu “Pest und Cholera” umbenennen – das würde gegenüber der Perspektive eines polnischen Bürgers um Längen aufrichtiger und transparenter erscheinen.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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