Meinung

Der Balkonist ‒ von Zwiebelschalen, pompösen Inszenierungen und diplomatischen Straußenherden

Der Balkonist ‒ von Zwiebelschalen, pompösen Inszenierungen und diplomatischen Straußenherden

Quelle: www.globallookpress.com © Felix Kästle/dpaSymbolbild

Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer

Beim Betrachten der frisch aufgeblühten Hyazinthen am sonnigen Balkonfenster stellte der Balkonist verwundert fest, wie rasch zunächst ein Stiel und dann die Blüte aus den Zwiebelschalen hervorgekommen war ‒ viel rascher und sicherer als die Wahrheit, die wie Zwiebelschalen aus oftmals widerstreitenden Informationen entwickelt werden muss. Da kam ihm nun wieder ein Analogschluss in den Sinn: wie schwer es bisweilen sein kann, im besten Deutschland aller Zeiten umfassende Informationen aus den immer gleichen Zwiebelschalen der Mainstream-Medien zu erhalten.

Diplomatischer Eklat: EU-Botschafter schwänzen Treffen mit Lawrow

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So gerade geschehen, als das russische Außenministerium die Botschafter der EU-Länder zu einem gemeinsamen Informationsgespräch mit Herrn Lawrow eingeladen hatte und jene dann mit stereotypen Absagen glänzten ‒ ganz so, als ob sie sich zuvor noch einhellig abgesprochen hätten. Über diesen recht skandalösen Vorgang, dass die Gäste es hier wagen, die Einladung des Gastgebers mit gleichförmigen Schreiben auszuschlagen, wurde in den deutschen “Qualitätsmedien” gar nicht erst berichtet. Das heißt, es gab hier noch nicht einmal eine einzige Zwiebelschale zu sehen! Nun ja, so mögen die zuständigen Redakteure gedacht haben: Wer Informationen lediglich auslässt, lügt wenigstens nicht…

Aber ist dem wirklich so, wenn die eigentliche Information vom Zuschauer oder Leser gar nicht mehr erkannt werden kann? Unser Balkonist hätte auch keine Kenntnis des Vorganges erhalten, wenn ihn nicht ein langjähriger Freund, früher als höherer Beamter tätig, ganz aufgebracht angerufen hätte: “So etwas hätten wir uns bis zur Jahrtausendwende einmal leisten sollen … Da hätten wir gleich unseren Hut nehmen können! … Dagegen ist sogar das kollektive Schulschwänzen der Fridays-for-Future-Jünger*Innen eine Lappalie, obgleich es auch gegen das Gesetz der Schulpflicht verstößt”, waren seine einleitenden Worte. Natürlich hätten die Diplomaten Order erhalten von ihren Vorgesetzten, denn eine solch eklatante Verletzung der diplomatischen Gepflogenheiten dürfe ein Botschafter nicht alleine entscheiden.

Ergänzend gab er dem erstaunten Balkonisten einige Hinweise, wo man denn im Internet am ehesten unabhängigen oder alternativen Journalismus finden könne (was bekanntlich in den letzten Monaten nicht einfacher geworden wäre). Anhand dessen könne er wenigstens einige innere Zwiebelschalen der Nachrichten analysieren. Unser Balkonist wäre denn nicht der Balkonist, also ein Mensch im selbstgewählten Exil der freien Meinung, wenn er nicht begonnen hätte, über derlei neue Moden in der Außenpolitik ein wenig metaphorisch nachzudenken… Er war ja schon unlängst durch Analogschlüsse zu der Einschätzung gelangt, dass jene “Feministische Außenpolitik” eines bedeutenden EU-Landes ohnehin wenig Rücksicht auf die Befindlichkeiten ihrer Partner nimmt, zumindest wenn es darum geht, Standhaftigkeit zu demonstrieren in Bezug auf selbst herbeidefinierte Wertvorstellungen.

Wie Frau Baerbock in Rio den Samba rockt

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Überhaupt neigt die oberste Diplomatin wie auch einige ihrer Regierungskollegen zu pompösen Inszenierungen, welche weniger gutgesinnte Zeitgenossen auch zu Vergleichen mit der berühmten “Deutschen Großmannssucht” unrühmlicher früherer Zeiten verleiten könnte (pardon: Großmann sei hier gendergerecht im Sinne von “Großmann:In” zu lesen!). Man hört schon aus der Ferne das Rauschen jenes “Am deutschen Wesen soll die Welt genesen”. Leider ist dies kein regionaler Einzelfall: Auch ein benachbarter Staatschef geriert sich manchmal wie ein “Sonnenkönig” oder wie ein eitler Pfau, manchmal auch wie ein “Napoleon” ‒ ebenso selbstüberzeugt und voll des höchsten Sendungsbewusstseins. Doch nicht genug der Inszenierungen: Wie ein kunstvolles Gemälde so schön, war beispielsweise auch jenes Bild vom “edlen Galopp mit Stöckelschuhen und khaki/weißer Kleidung im Trümmerfeld”.

Trotz der hier suggerierten Bedrohungslage im Krisengebiet wird auf die Attribute der Splitterschutzweste und des Schutzhelmes verzichtet, wohl aus Gründen der künstlerischen Ästhetik… Oder entstand dieses wunderbare Kunstwerk womöglich gar nicht in einem gefährlichen Areal? (Wie dem auch sei, ein vermeintlicher Drohnenflug ließ dann doch noch eine Gefährdungslage entstehen). Der Balkonist durchforstete dieses Foto sogar nach Hinweisen, ob nicht vielleicht irgendwo Scheuklappen verborgen wären, denn dies alles kam ihm so gratismutig und olympisch vor, wie eine perfekte Kür zum Abschluss des Dressurreitens. So weit, so glänzend!

Und wie nützlich doch Scheuklappen sein könnten, will man unbedingt sein Ziel trotz mahnender Gegenstimmen durchsetzen. Auch würden da etwaige Gewissensbisse wegen des naiven Tunnelblickes gar nicht erst aufkommen! Ein weiteres Element dieser “neuen Außenpolitik” stellt jenes Vogel-Strauß-Verhalten dar, den Kopf in den Sand zu stecken oder wegzurennen, wenn man etwas nicht wahrhaben möchte. Doch obige Nachricht von einer offensichtlichen Straußenherde aller EU-Botschafter in Moskau, die, mutmaßlich einem Leitvogel Strauß Folge leistend, mit einhellig fadenscheiniger Begründung den Kopf tiefer in den Sand steckten, war nun für den guten Balkonisten doch etwas zu viel der kollektiven Ignoranz und Selbstherrlichkeit.

Gedanken des Balkonisten: Vom Belauschen und von Sandkastenspielen ganz fabelhafter Jungs

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Ignoranz nicht nur gegenüber dem einladenden Gastland, sondern auch gegenüber der jeweils eigenen Bevölkerung. Zumindest für sein Heimatland konnte er gemäß aktuellen Umfragen davon ausgehen, dass immer noch die Mehrheit der Bevölkerung keine weitere Eskalation des Konfliktes mit Russland will und somit der Nutzung aller zur Verfügung stehenden diplomatischen Mittel unbedingt den Vorzug geben würde. Oder war die Triebfeder der Straußenherde nur jene Angst, die Wahrheit oder begründete Kritik anhören zu müssen, ohne sich in dieser Situation herausreden zu können? (Denn was fürchtet die moralinsaure wertegesteuerte Politik mehr, als berechtigte Kritik?).

Hätte sich womöglich gar einer der anwesenden Strauße verplappert, obwohl sie gemeinsam ins Außenministerium gekommen wären? Nicht auszudenken, welche Wirrungen dies, zeitnah zu dem Leak über Sandkastenplanspiele einiger hochdekorierter militärischer Jungs aus Deutschland verursacht hätte… Sind sich womöglich die Staaten der EU doch nicht so einig über ihre politischen Ziele, wie es nach außen den Anschein haben soll ‒ ganz entgegen dem alle vereinnahmenden Gebaren einer zur Wiederwahl anstehenden “Uns-Geheimnis-Uschi”? Fragen über Fragen, die den Balkonisten nun plötzlich befallen hatten, ohne dass er aus den vielen Zwiebelschalen eine Antwort hätte herauslösen können. Über dem ganzen Nachdenken und Rätseln war es bereits dunkel geworden, die Hyazinthenblüten wie auch die deutsche Außenpolitik konnten im Dämmerlicht nicht mehr so glänzen und wirkten eher einfarbig und grau. Und das laute “Miau”-Geschrei seines schwarzen Katers Murr III., der Hunger zu verspüren schien, ließ unseren Balkonisten nun zurückkehren in die beruhigende Alltagsrealität seiner etwas biederen Wohnung.

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