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Die Beleidigung Chinas durch den Berater von Selenskij hat in Peking keine große Reaktion provoziert

Die Beleidigung Chinas durch den Berater von Selenskij hat in Peking keine große Reaktion provoziert

Quelle: AFP © Sergei SUPINSKY / AFP“Schwaches intellektuelles Potenzial”: Michail Podoljak im Juli 2023 in Kiew

Von Timofei W. Bordatschow

Vergangene Woche mutmaßte ein wichtiger Vertreter des Kiewer Regimes in einem Interview über das “schwache intellektuelle Potenzial” von Ländern wie China und Indien. Diese überhebliche Anmaßung des ukrainischen Präsidentenberaters Michail Podoljak veranschaulichte perfekt viele Merkmale der modernen internationalen Politik.

Da ist zunächst die Art und Weise, wie sie mit dem Informationsraum interagiert. Hier trifft jede Nation ihre eigenen Entscheidungen, wie sie auf solche Beleidigungen wie jene von Podoljak reagiert. Es gibt keine festen Regeln darüber, welche Reaktion sich als die angemessenste herausstellen wird. China ist jedoch in solchen Angelegenheiten auf dem Weg, sich zu einer außenpolitischen Großmacht zu entwickeln.

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Generell ist die Praxis öffentlicher Beleidigungen in der Weltpolitik nicht neu. Es wäre naiv zu glauben, dass solche in der “guten alten Zeit” nicht vorkamen. Während des Kalten Krieges beschimpften viele von den USA unterstützte Marionettenstaaten und Diktatoren öffentlich die UdSSR oder China mit den übelsten Worten. Bloß erfuhr die Öffentlichkeit kaum etwas davon.

Auch den Bolschewiki waren in ihren Anfangsjahren nach der Revolution harsche Denunziationen nicht fremd, und die Chinesen selbst foppten bis Mitte der 1970er Jahre gern westliche und sowjetische Politiker mit “eloquenten” Äußerungen. Mao Zedong, der Gründer des modernen chinesischen Staates, war übrigens ein Meister darin. Unverantwortliche Äußerungen sind ein inhärentes Verhaltensmerkmal von Regimes, deren Zukunft ungewiss ist. Sie leben in der Gegenwart, sind ungeschminkt in ihren Äußerungen, da sie nicht wissen, ob sie in naher Zukunft noch existieren werden, und sich daher wenig Gedanken über die längerfristigen Konsequenzen machen.

Heute ist China eine große und solide Macht. In den vergangenen 50 Jahren hat es sich zu einem wirtschaftlichen Giganten entwickelt, mit der Potenz, globalen Einfluss zu nehmen. Und in dieser neuen Position könnte Peking zum Schluss gekommen sein, dass die Zeit, die aufgewendet werden müsste, um auf jeden Krakeel von US-Lakaien zu reagieren, viel besser genutzt werden könnte. Dies gilt umso mehr, als es den Anschein hat, dass China in den vergangenen Jahren zunehmend Abstand von der Praxis genommen hat, seinen Beamten und Diplomaten harsche Äußerungen zu gestatten. Offensichtlich ist man in Peking zu dem Schluss gekommen, dass ein solches Verhalten nichts Vorteilhaftes bringt, jedoch das Image Chinas beeinträchtigt. Zumindest hören wir von offiziellen chinesischen Stellen keine scharfen außenpolitischen Äußerungen mehr.

Die offizielle Vertreterin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning, nahm zur Beleidigung aus Kiew Stellung und sagte, dass Michail Podoljak “seine Äußerung in gutem Glauben analysieren und daran arbeiten sollte, die richtige Einstellung zu entwickeln”. Solche Formulierungen sind ein Kompromiss zwischen der Notwendigkeit, auf jeden Unsinn reagieren zu müssen, und einem noch unentwickelten Verständnis dafür, wie dies geschehen soll.

Ob solche selbstbewussten Ermahnungen in Kiew Wirkung zeigen, ist keineswegs sicher. Das werden sie wahrscheinlich nicht. Und dafür gibt es mehrere Gründe. In erster Linie lebt der Gegenstand der Unzufriedenheit Chinas auf einer anderen politischen Ebene. Zweitens hängt die Überzeugungskraft der Rhetorik Pekings von der allgemeinen Lage in der Welt ab, zu der auch die militärische und politische Krise in Europa gehört. Aus Sicht der in der Ukraine vorherrschenden politischen Kultur ist dies im Allgemeinen nicht überraschend, und niemand weiß das besser als die Russen. Moskau hört ständig die giftigste Rhetorik aus Richtung des Kiewer Regimes. Und es liegt an Moskau, wie es auf diese reagieren soll.

Ähnliches geschah vor einigen Jahren mit dem kleinen Litauen, das ebenfalls einen Streit mit China vom Zaun brach. Gegenstand des Disputs waren die Beziehungen, die Litauen zu Taiwan aufgenommen hatte. Damals reagierte die chinesische Regierung ziemlich verärgert darüber. Peking brach die Wirtschaftsbeziehungen mit der baltischen Republik ab und drehte die wirtschaftlichen Daumenschrauben in jenen Bereichen der Weltwirtschaft an, auf die Peking Einfluss nehmen konnte. Trotzdem hatte dies keine Auswirkungen auf das Verhalten von Vilnius. Es stellte sich nämlich heraus, dass die Handelsbeziehungen zwischen Litauen und China so unbedeutend waren, dass die Einstellung dieser Beziehungen keinem der beiden Staaten Schaden zufügte. Und da die Souveränität Litauens im Allgemeinen nur formaler Natur ist, kann dieser Staat für seine Handlungen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Peking hat wahrscheinlich seine Lektion gelernt und wird eine solch erfolglose Strafdiplomatie nicht wiederholen.

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Umso mehr wird eine scharfe Reaktion Chinas im Fall der Ukraine nicht funktionieren. Erstens, weil Pekings Haltung gegenüber dem ukrainischen Regime bereits klar ist und China mittlerweile Russlands wichtigster Partner im Konflikt mit dem Westen ist. Obwohl chinesische Unternehmen nicht weniger Angst davor haben, unter Sanktionsrepressionen aus Washington zu geraten, als andere, nimmt die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu. Auch das Ausmaß der chinesischen Unterstützung Russlands im militärisch-technischen Bereich hängt nicht vom Verhalten Kiews ab. Pekings politische Sympathien sind klar und sie stehen nicht auf der Seite des ukrainischen Regimes. Für die Chinesen ist die Ukraine nichts weiter als ein Rammbock gegen Russland in den Händen der USA. Daher riskiert Kiew nichts.

Das Überleben des von Wladimir Selenskij geführten Regimes hängt vollständig vom Westen ab und hat nichts mit anderen Faktoren der internationalen Politik zu tun. Die Chinesen haben, wenn überhaupt, nicht viele Möglichkeiten, Kiew zu bestrafen. Peking kann natürlich einen Groll hegen. Aber was nützt es, wenn das Objekt seines Grolls nicht weiß, wie lange es in dieser Welt noch existieren wird?

Natürlich ist es möglich, Druck auf Washingtons Satellitenstaaten auszuüben. Aber es ergibt nur dann Sinn, wenn Maßnahmen zumindest etwas bewirken. Nehmen wir zum Beispiel Südkorea, für das die Wirtschaftsbeziehungen zu China sehr wichtig sind.

Allerdings sind Vasallen der USA in den meisten Fällen entweder nicht in der Lage, ihre nationalen Interessen zu verteidigen, oder sie haben einfach keine. Dies ist die Besonderheit der heutigen Welt, in der eine bedeutende Gruppe von Ländern nur formal souverän ist. In Wirklichkeit handelt es sich bei der Souveränität dieser Staaten um Projektionen verschiedener Erscheinungsformen der US-Diplomatie. Die einzige Möglichkeit, eine solche Ordnung auf globaler Ebene zu ändern, besteht darin, sie völlig neu zu strukturieren.

Jedes Wort, das Peking an die Vasallen der USA richtet, ist also letztlich Teil seiner Beziehung zu den USA selbst. Deshalb bleibt China vorsichtig. Jeder weiß genau, dass die vorsichtigen Reaktionen nicht nur großer Länder wie China oder Indien, sondern auch jene der meisten Mitglieder der internationalen Gemeinschaft auf die Eskapaden und die anhaltende Machtfähigkeit Washingtons zurückzuführen sind.

Die USA haben keine anderen Mittel, um ihre Interessen in der Welt zu verteidigen und durchzusetzen, während “Soft Power” oder subtiler politischer Einfluss längst vergessene Konzepte sind. Aber die Fähigkeit der USA, andere dazu zu zwingen, nach den Regeln Washingtons zu handeln, ist immer noch enorm, und das sollten wir nicht vergessen. Peking spielt ein komplexes Spiel, dessen ultimatives Ziel darin besteht, die USA zu übertrumpfen, ohne ihnen direkt entgegenzutreten. Und es wird sich dabei so zurückhaltend wie nur möglich verhalten.

Aus dem Englischen.

Timofei W. Bordatschow (geboren 1973) ist ein russischer Politikwissenschaftler und Experte für internationale Beziehungen, Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien an der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Hochschule HSE in Moskau. Unter anderem ist er Programmdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.

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