Analyse Die Ukraine in der EU wird die wachsende Bedeutungslosigkeit der Union nur noch verstärken
Umso mehr wird eine scharfe Reaktion Chinas im Fall der Ukraine nicht funktionieren. Erstens, weil Pekings Haltung gegenüber dem ukrainischen Regime bereits klar ist und China mittlerweile Russlands wichtigster Partner im Konflikt mit dem Westen ist. Obwohl chinesische Unternehmen nicht weniger Angst davor haben, unter Sanktionsrepressionen aus Washington zu geraten, als andere, nimmt die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu. Auch das Ausmaß der chinesischen Unterstützung Russlands im militärisch-technischen Bereich hängt nicht vom Verhalten Kiews ab. Pekings politische Sympathien sind klar und sie stehen nicht auf der Seite des ukrainischen Regimes. Für die Chinesen ist die Ukraine nichts weiter als ein Rammbock gegen Russland in den Händen der USA. Daher riskiert Kiew nichts.
Das Überleben des von Wladimir Selenskij geführten Regimes hängt vollständig vom Westen ab und hat nichts mit anderen Faktoren der internationalen Politik zu tun. Die Chinesen haben, wenn überhaupt, nicht viele Möglichkeiten, Kiew zu bestrafen. Peking kann natürlich einen Groll hegen. Aber was nützt es, wenn das Objekt seines Grolls nicht weiß, wie lange es in dieser Welt noch existieren wird?
Natürlich ist es möglich, Druck auf Washingtons Satellitenstaaten auszuüben. Aber es ergibt nur dann Sinn, wenn Maßnahmen zumindest etwas bewirken. Nehmen wir zum Beispiel Südkorea, für das die Wirtschaftsbeziehungen zu China sehr wichtig sind.
Allerdings sind Vasallen der USA in den meisten Fällen entweder nicht in der Lage, ihre nationalen Interessen zu verteidigen, oder sie haben einfach keine. Dies ist die Besonderheit der heutigen Welt, in der eine bedeutende Gruppe von Ländern nur formal souverän ist. In Wirklichkeit handelt es sich bei der Souveränität dieser Staaten um Projektionen verschiedener Erscheinungsformen der US-Diplomatie. Die einzige Möglichkeit, eine solche Ordnung auf globaler Ebene zu ändern, besteht darin, sie völlig neu zu strukturieren.
Jedes Wort, das Peking an die Vasallen der USA richtet, ist also letztlich Teil seiner Beziehung zu den USA selbst. Deshalb bleibt China vorsichtig. Jeder weiß genau, dass die vorsichtigen Reaktionen nicht nur großer Länder wie China oder Indien, sondern auch jene der meisten Mitglieder der internationalen Gemeinschaft auf die Eskapaden und die anhaltende Machtfähigkeit Washingtons zurückzuführen sind.
Die USA haben keine anderen Mittel, um ihre Interessen in der Welt zu verteidigen und durchzusetzen, während “Soft Power” oder subtiler politischer Einfluss längst vergessene Konzepte sind. Aber die Fähigkeit der USA, andere dazu zu zwingen, nach den Regeln Washingtons zu handeln, ist immer noch enorm, und das sollten wir nicht vergessen. Peking spielt ein komplexes Spiel, dessen ultimatives Ziel darin besteht, die USA zu übertrumpfen, ohne ihnen direkt entgegenzutreten. Und es wird sich dabei so zurückhaltend wie nur möglich verhalten.
Aus dem Englischen.
Timofei W. Bordatschow (geboren 1973) ist ein russischer Politikwissenschaftler und Experte für internationale Beziehungen, Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien an der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Hochschule HSE in Moskau. Unter anderem ist er Programmdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.
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