Ausland

Wie die USA still und heimlich Taiwan bis an die Zähne aufrüsten

Wie die USA still und heimlich Taiwan bis an die Zähne aufrüsten

Quelle: Gettyimages.ru Symbolbild: Der rote Löwe vor dem Wen Wu Tempel in Taiwan.

Inmitten wachsender Spannungen zwischen Washington und Peking haben die USA Ende August 80 Millionen US-Dollar an Militärhilfen für Taiwan bereitgestellt. Das Neue an diesem Schritt war, dass die USA erstmals ein spezielles Programm, das Foreign Military Finance (FMF), dafür nutzten.

Die 80 Millionen US-Dollar sind kein Kredit. Sie kommen von den US-amerikanischen Steuerzahlern. Zum ersten Mal seit mehr als 40 Jahren verwendet Amerika zudem sein eigenes Geld, um Waffen an einen Ort zu schicken, den es offiziell nicht anerkennt.

Seit der militärischen Eskalation zwischen der Ukraine und Russland im vergangenen Jahr wurden aus dem FMF schon rund vier Milliarden US-Dollar an Militärhilfe nach Kiew geschickt.

Weitere Milliarden bekamen Afghanistan, Irak, Israel und Ägypten. Doch bislang wurden die Hilfen nur an Länder oder Organisationen vergeben, die von den Vereinten Nationen anerkannt sind. Taiwan ist das nicht.

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Ambivalente Strategie der USA

Nachdem der US-Kongress am 10. April 1979 den Taiwan Relations Act erlassen hatte, der die internationalen Beziehungen zur Republik China, inklusive Taiwan, neu definierte, mussten die Beziehungen zu Taipeh seinerzeit pro forma abgebrochen werden.

Die USA hatten zuvor am 1. Januar 1979 unter dem damaligen Präsidenten Jimmy Carter offizielle diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik China aufgenommen und die sogenannte Ein-China-Politik adaptiert.

Dennoch verkaufte Washington bis heute unter den Bedingungen des Taiwan Relations Act weiterhin Waffen an Taiwan. Die Strategie Washingtons war, gerade so viele Waffen zu verkaufen, dass Taipeh sich gegen einen möglichen chinesischen Angriff verteidigen konnte, aber nicht so viele, dass sie die Beziehungen zwischen Washington und Peking destabilisieren würden.

Doch laut Washington hat sich in den letzten zehn Jahren das militärische Gleichgewicht in der Region deutlich zugunsten Chinas verschoben, so die BBC in einer Analyse. Die USA definieren ihre Beziehungen zu der Insel neu.

Washington drängt aufs Tempo

Wang Ting-yu, ein Abgeordneter der taiwanesischen Regierungspartei DPP (Demokratische Fortschrittspartei) mit engen Beziehungen zu Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen und zu US-Kongressmitgliedern, sagte gegenüber dem Sender:

“Die USA betonen die dringende Notwendigkeit, unsere militärischen Kapazitäten zu verbessern. Sie senden eine klare Botschaft der strategischen Klarheit an Peking, dass wir zusammenstehen.”

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Laut Wang Ting-yu sind die 80 Millionen US-Dollar nur die Spitze eines möglicherweise sehr großen Eisbergs. Der Politiker wies gegenüber der BBC auch darauf hin, dass US-Präsident Biden im Juli einen Ermessensspielraum nutzte, um den Verkauf von militärischen Dienstleistungen und Ausrüstung im Wert von 500 Millionen US-Dollar an Taiwan zu genehmigen.

Wang zufolge bereitet sich Taiwan darauf vor, zwei Bataillone Bodentruppen zur Ausbildung in die USA zu schicken, was zum ersten Mal seit den 1970er-Jahren der Fall wäre. Lai I-Ching, Präsident der Prospect Foundation, einer in Taipeh ansässigen Denkfabrik, betonte gegenüber der BBC ebenfalls den Strategiewechsel Washingtons:

“Aber mit dem FMF schicken die USA Waffen direkt aus ihren eigenen Beständen und es ist amerikanisches Geld – wir müssen also nicht den ganzen Genehmigungsprozess durchlaufen.”

Lai I-Ching spekuliert, dass es sich bei Lieferungen um Javelin- und Stinger-Flugabwehrraketen handelt:

“Wir haben nicht genug davon, und wir brauchen eine Menge (…) In der Ukraine gingen die Stinger sehr schnell zur Neige, und die Art und Weise, wie die Ukraine sie einsetzt, lässt vermuten, dass wir vielleicht zehnmal so viele brauchen, wie wir derzeit haben.”

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“Alte Gewehre aus den 1970er-Jahren”

Laut Einschätzung von westlichen Beobachtern ist Taiwan auf einen eventuellen chinesischen Angriff nur unzureichend vorbereitet. Taiwans Armee verfüge über Hunderte von veralteten Kampfpanzern, aber zu wenige moderne, leichte Raketensysteme. Die Kommandostruktur, Taktik und Doktrin der Armee seien seit einem halben Jahrhundert nicht mehr aktualisiert worden. Viele Einheiten an der Front verfügen nur über 60 Prozent der Personalstärke, die sie benötigen.

Die taiwanesische Spionageabwehr in China ist westlichen Berichten zufolge nicht existent und das System der Wehrpflicht funktioniere nicht. Im Jahr 2013 verkürzte Taiwan die Wehrpflicht von einem Jahr auf nur vier Monate, bevor sie wieder auf 12 Monate heraufsetzt wurde, was allerdings erst im nächsten Jahr in Kraft tritt.

“Es gab keine regelmäßige Ausbildung”, erklärte ein Absolvent der Ausbildung gegenüber der BBC. Und weiter:

“Wir gingen etwa alle zwei Wochen zu einem Schießstand und benutzten alte Gewehre aus den 1970er-Jahren. Wir haben auf Ziele geschossen. Aber es wurde uns nicht richtig beigebracht, wie man zielt, und so schoss jeder daneben. Wir haben keine Übungen gemacht. Am Ende gibt es einen Fitnesstest, aber darauf haben wir uns nicht vorbereitet.”

Laut dem namentlich nicht genannten Rekruten behandelten die Befehlshaber die Auszubildenden mit völliger Gleichgültigkeit und zeigten keinerlei Interesse an ihrer Ausbildung. Offenbar, weil sie nur so kurze Zeit dort sind.

Der BBC zufolge hat Washington das Gefühl, dass Taiwan die Zeit für die Reform und den Wiederaufbau seines Militärs davonläuft. Deswegen, so der Sender, begännen die USA mit der Umschulung der taiwanesischen Armee.

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“Festung Taiwan”

Jahrzehntelang habe sich die politische und militärische Führung der Insel auf die Überzeugung gestützt, dass eine Invasion der Insel für China viel zu schwierig und riskant sei. Ähnlich wie Großbritannien habe Taiwan seiner Marine und Luftwaffe Priorität eingeräumt – auf Kosten seiner Armee. Lai I-Ching gegenüber der BBC:

“Die Idee war, sie in der Straße von Taiwan anzugreifen und sie an den Stränden zu vernichten. Deshalb haben wir viele Ressourcen in die Luft- und Seeverteidigung investiert.”

Aber jetzt habe China die größte Marine der Welt und eine weit überlegene Luftwaffe, so der Leiter des Thinktanks weiter. Eine von seinem Institut im vergangenen Jahr durchgeführte Kriegssimulation habe ergeben, dass Taiwans Marine und Luftwaffe in einem Konflikt mit China innerhalb der ersten 96 Stunden der Schlacht ausgelöscht würden.

Dem Sender zufolge gehe Taiwan unter dem starken Druck Washingtons zu einer Strategie der “Festung Taiwan” über, die eine Eroberung der Insel durch China so schwierig wie möglich machen soll.

Der Schwerpunkt liege dabei auf Bodentruppen, Infanterie und Artillerie, um eine Invasion an den Stränden abzuwehren und die Volksbefreiungsarmee (PLA) notfalls in den Städten und von Stützpunkten tief in den dschungelbedeckten Bergen der Insel aus bekämpfen zu können. Doch damit falle die Verantwortung für die Verteidigung Taiwans wieder auf die veraltete Armee zurück. Dazu Lai I-Ching:

“Nach dem Abbruch der Beziehungen zu den USA im Jahr 1979 war unsere Armee fast vollständig isoliert. Sie sind also in der Ära des Vietnamkriegs und der US-Militärdoktrin stecken geblieben.”

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“Schockiert vom Ukraine-Konflikt”

Der BBC zufolge war die Eskalation zwischen der Ukraine und Russland für Taiwan “schockierend”. Die Artillerie dominiere in dem Konflikt das Schlachtfeld. Die ukrainischen Kräfte, so der Sender weiter, hätten gelernt, dass sie sofort nach dem Abfeuern einer Salve in Bewegung sein müssten, da sonst innerhalb weniger Minuten russisches Gegenfeuer auf ihre Stellungen niederprassele.

Viele der taiwanesischen Artillerietruppen seien jedoch, so der Bericht weiter, mit Geschützen aus dem Vietnamkrieg oder sogar aus dem Zweiten Weltkrieg ausgerüstet. Diese würden manuell geladen und seien schwer und langsam zu bewegen. Um diesen Schwachpunkt zu beheben, würden nun taiwanesische Bodentruppen zur Ausbildung in die USA entsandt. Zudem kämen US-Ausbilder nach Taipeh, um die taiwanesischen Marinesoldaten und Spezialeinheiten zu unterstützen.

William Chung, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für nationale Verteidigungs- und Sicherheitsforschung in Taipeh, erklärte gegenüber der BBC, dass Taiwan China nicht allein abschrecken könne. Dies sei eine weitere Lehre aus dem Konflikt in der Ukraine. Chung gegenüber dem Sender:

“Die internationale Gesellschaft muss entscheiden, ob Taiwan wichtig ist (…) Wenn die G7 oder die NATO der Meinung sind, dass Taiwan für ihre eigenen Interessen wichtig ist, dann müssen wir die Situation in Taiwan internationalisieren – denn das wird China dazu bringen, zweimal über die Kosten nachzudenken.”

Und weiter:

“China zeigt im Südchinesischen Meer und im Ostchinesischen Meer, dass es expansionistisch ist (…) Und das Ergebnis sehen wir in Japan, wo der Militärhaushalt jetzt verdoppelt wird.”

Das Ergebnis sei laut Chung eine Umgestaltung der Bündnisse in der Region – sei es ein historisches Gipfeltreffen zwischen den USA, Japan und Südkorea, die wachsende Bedeutung von Militärbündnissen wie der Quad (Japan, USA, Australien und Indien) und AUKUS (Großbritannien, USA und Australien), die um den Bau von Atom-U-Booten der nächsten Generation ringen, oder engere Beziehungen zwischen den USA und den Philippinen.

“China versucht, den Status quo in der gesamten Region zu verändern”, so Chung. Er fügte hinzu:

“Und das bedeutet, dass die Sicherheit Taiwans mit dem Südchinesischen Meer und dem Ostchinesischen Meer verbunden ist. Es bedeutet, dass wir nicht länger isoliert sind.”

Der BBC zufolge werde in Washington derzeit heftig darüber diskutiert, wie weit die USA bei der Unterstützung Taiwans gehen sollen. Viele langjährige China-Beobachter in Washington seien der Meinung, dass jedes öffentliche Engagement der USA Peking eher provozieren als abschrecken würde. Aber Washington wisse auch, dass Taiwan nicht darauf hoffen könne, sich allein zu verteidigen.

“Wir müssen uns in der ganzen Frage der strategischen Zweideutigkeit ruhig verhalten, während wir Taiwan bis an die Zähne bewaffnen” so ein langjähriger China-Beobachter in Washington gegenüber dem Sender.

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